„Frauenmarsch Niedersachsen“ – ein Label der AfD

Seit März 2018 organisieren sich Rassist*innen unter dem Label „Frauenmarsch Niedersachsen“. Zwei Demonstrationen, in Delmenhorst und in Papenburg, folgten. Der folgende Artikel soll einen Überblick über die Struktur liefern.


Bild: recherche-nord


Entstehung

Es ging durch nahezu sämtliche Medien: Im Dezember 2017 töte ein Geflüchteter im rheinland-pfälzischen Kandel die 15-jährige Mia. Eine Beziehungstat. Doch anstatt Pietät walten zu lassen und die Angehörigen in Ruhe trauern zu lassen, formierte sich innerhalb kürzester Zeit ein rassistischer Mob, um die schreckliche Tat zu instrumentalisieren und rassistisch aufzuladen. Nachdem mehrere Kundgebungen, unter anderem von der AfD, der NPD sowie einem selbsternannten „Frauenbündnis“ in Kandel stattfanden, kam es im März 2018 zum traurigen Höhepunkt. An einer Demonstration, die von Szenebeobachter*innen als Schulterschluss der AfD mit militanten Neonazis und Hooligans bewertet wird, nahmen rund 4000 Rassist*innen verschiendster Couleur teil. Auf der Demonstration herrschte eine äußerst aggressive Stimmung, unter anderem kam es zu Angriffen auf anwesende Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen. Um den Tod eines Mädchens ging dabei nie. Es ging um Hass und Rassismus.
Offenbar beeindruckt von der Wucht dieser Demonstration wurden bald in vielen Orten Deutschland Versuche gestartet, Demonstrationen unter dem Motto „Kandel ist überall“ zu etablieren, unter anderem in Bremen, dort jedoch äußerst erfolglos.

Auch im ostfriesischen Leer war man offenbar gewillt, politischen Profit aus der Gewalttat zu schlagen.

Das AfD-Mitglied Ina Raabe gründete Ende März 2018 den sogenannten „Frauenmarsch Niedersachsen“. In einem Interview mit dem AfD-nahen Onlinevideoformat „RIKO TV“ aus dem Landkreis Osnabrück erklärte Raabe, dass man sich von dem AfD-„Frauenmarsch“ in Berlin, der sich auf die Vorfälle in Kandel bezog, hat beeindrucken lassen und dass man ein solches Format auch im Nordwesten Niedersachsens etabliereren wolle.

Erste öffentliche Aktion: Demonstration in Delmenhorst

Zu einer ersten Aktion suchte man sich Delmenhorst aus. Etwa 100 Personen nahmen am 5.Mai 2018 an der Demonstration teil, darunter ein Großteil aus Strukturen der AfD und ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA). Sämtliche Redner*innen, unter ihnen die prominente Aktivistin Leyla Bilge, kamen von der Partei. Auffällig: Es waren viele AfD-Vertreter*innen mit Bezügen in das völkisch-neofaschistische Milieu vor Ort: JA-Chef Lars Steinke und der Oldenburger Rechtsanwalt Gerhard Vierfuß mit ihren Kontakten zur „Identitären Bewegung“, Andreas Iloff aus dem Landkreis Diepholz, der in der Neonaziszene seit vielen Jahren bestens vernetzt ist und auch schon neonazistische Veranstaltungen auf seinem Grundstück organisierte oder der Bremer Alexander Tassis, der unter anderem Schriftführer in der vom Verfassungsschutz beobachteten „Patriotischen Plattform“ (PP) ist.
Da verwundert es auch nicht, dass es auch eine Gruppe offensichtlich militanter Neonazis nach Delmenhorst verschlug: Oldenburger und Vechtaer Mitglieder einer selbsternannten „Bruderschaft“ mit dem Namen „Blood Broter Nation“ sowie der Hooligangruppierung „Querschläger Vechta“ stellten für die Organisator*innen des „Frauenmarschs“ offenbar kein Problem dar. Lediglich ein T-Shirt mit der neonazistischen Losung „White Power“ musste auf links gedreht werden.


Bildmitte mit Kapuze: Julian Klein aus Oldenburg, Mitglied der „Bruderschaft“ „Blood Brother Nation“
mit Käppi und kariertem Hemd: Nico Becker aus Lohne (Landkreis Vechta)
Bild: recherche-nord


Rechts: Kevin Rotert aus Vechta, der auch an einer „OLGIDA-Kundgebung“ am 16.März 2015 in Oldenburg teilnahm
Bild: recherche-nord

Neben „Blood Brother Nation“- Mitglied Julian Klein fanden noch einige weitere Personen aus Oldenburg den Weg in den Bremer Vorort. Von dem hiesigen AfD-Kreisverband machte sich neben dem bereits erwähnten Gerhard Vierfuß auch der Berufssoldat Andreas Paul, erfolgloser Direktkandidat zur Bundestagswahl 2017, auf den Weg nach Delmenhorst, ebenso wie einige andere AfD-Mitglieder.


Oldenburger Beteiligung am Delmenhorster „Frauenmarsch“
Bild: recherche-nord


links im Bild: Gerhard Vierfuß aus Oldenburg. Bildmitte: Lidia Bernhardt, Mitglied des Oldenburger Stadtrats
Bild: recherche-nord


Der Berufssoldat Andreas Paul aus Oldenburg auf einer Demonstration mit Neonazibeteiligung. Ein Fall für den MAD?
Bild: recherche-nord

Obwohl der Bezug des „Frauenmarschs“ zur AfD offenkundig war, bemühte man sich die gesamte Veranstaltung über um den Eindruck einer bürgerlichen Veranstaltung, die nichts mit der Partei zu tun habe.

Zweiter Akt: Papenburg

Im emsländischen Papenburg versuchte man dann gar nicht mehr, eine Verbindung zur selbsternannten „Alternative für Deutschland“ zu verbergen. Im Gegenteil: Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem AfD-Kreisverband Ems/Vechte sowie einigen niedersächsischen Landtagsabgeordneten der Partei statt.
Und auch thematisch wurden nicht mehr vorrangig vermeintliche Frauen*rechte gegen Geflüchtete in Stellung gebracht. Man demonstrierte gegen einen geplanten Moscheebau in der emsländischen Kleinstadt. Und aller auch in unseren Augen berechtigter Kritik an DITIB, dem Trägerverband der geplanten Moschee, der eng mit dem türkischen Erdogan-Regime verbunden ist, zum Trotz, zeigte sich sehr schnell, worum es den Versammlungsteilnehmer*innen eigentlich geht. Auf dem Transparent der Demonstration war kein durchgestrichenes DITIB-Logo, sondern eine durchgestrichene Moschee zu sehen. In mehreren Redebeiträgen ging es nicht um Strukturen des türkischen Staats, sondern um eine vermeintliche „deutsche Kultur“, die sich durch „den Islam“ bedroht sehe.


Bild: recherche-nord

Außerdem wurde geflüchteten Menschen und Menschen islamischen Glaubens per se Kriminalität und sexuelle Übergriffigkeit unterstellt.
Von einem LKW mit auffälliger AfD-Beschriftung waren es dann auch ausschließlich AfD-Mitglieder und Sympathisant*innen, die Redebeiträge hielten. Unter ihnen: Jens Ahrends aus Friederichsfehn in der Gemeinde Edewecht (Landkreis Ammerland), seines Zeichens Langtagsabgeordneter für die AfD in Niedersachsen. Erneut fand sich eine recht große Reisegruppe aus dem AfD-Kreisverband Oldenburg-Stadt/Ammerland auf der Kundgebung ein.


Jens Ahrends, AfD-Landtagsabgeordneter aus dem Ammerland
Bild: recherche-nord


Oldenburger Beteiligung am Papenburger „Frauenmarsch“
Bild: recherche-nord


Ammerländer Beteiligung am Papenburger „Frauenmarsch“
Bild: recherche-nord


Gerhard Vierfuß trug während der Papenburger Demonstration ein Schild mit einer Parole, die aus der Neonaziszene stammt.
Bild: recherche-nord


Oldenburger Beteiligung am Papenburger „Frauenmarsch“
Bild: recherche-nord

Erneut distanzierte man sich nicht von Neonazis und ihrer Ideologie. Dies äußerte sich zum einen in einem „Erik&Sons“-T-Shirt, das ein Teilnehmer während der Kundgebung trug. Bei „Erik&Sons“ handelt es sich um eine explizite Neonazimarke. Zum anderen war mit der Oldenburger Schauspielerin Imke Barnstedt eine Neonazifunktionärin, Buchautorin und Holocaustleugnerin in Papenburg zugegen. Sie zeigte sich in Papenburg einträchtig mit Oldenburger AfD-Mitgliedern.


Die bekannte Oldenburger Holocaustleugnerin Imke Barnstedt im Kreise von lokalen AfD-Aktivist*innen
Bild: recherche-nord

Auch sonst zeigte sich, wie schon in Delmenhorst, dass bei diesen Veranstaltungen der völkischer und radikaler auftretende Teil der AfD angesprochen wird. Neben den Oldenburger Vertreter*innen dieses Kurses, die sich auch im sogenannten „Oldenburger Kreis“ organisieren, erschienen auch Vertreter der „AfD-Initiativgruppe Wilhelmshaven“ in Papenburg. Die Initiativgruppe positioniert sich gegen einen in ihren Augen zu gemäßigten Kurs der AfD in Wilhelmshaven und Friesland. Einer der Initiativgruppen-Vertreter ist Ralf Diederich, der als Gründer einer rassistischen „Bürgerwehr“ gilt. Auch Frank Appeldorn aus Wilhelmshaven gilt als Hardliner, der keinerlei Berührungsängste mit der Neonaziszene hat. So nahm er im November 2015 an einer Kundgebung der neonazistischen „Aktionsgruppe Weser/Ems“ in Wilhelmshaven teil. Appeldorn war einer der Betreiber der Wilhelmshavener Facebookseiten „WILGIDA“ „Nein zum Heim in Ebkeriege“ sowie „Nein zum Heim in Fedderwardergroden“ und wurde wegen volksverhetzender Äußerungen auf diesen Seiten zu einer Geldstrafe von 1800 Euro (90 Tagessätze à 20 Euro) verurteilt.

„Frauenmarsch“ als Label der AfD

Von Beginn an war offensichtlich, dass es sich bei dem „Frauenmarsch“ um eine AfD-Struktur handelt. Die Gründerin, der Organisationskreis, nahezu alle Redner*innen und Ordner*innen, die Finanzierung, die Infrastruktur. All dies wird von der AfD getragen und wurde schlussendlich in Papenburg auch gar nicht mehr verheimlicht.
Mit diesem Etikettenschwindel ging es der rassistischen und antifeministischen Partei vermutlich um eine vermeintlich feministische und bürgerliche Positionierung, die Interessent*innen ansprechen soll, die sich nicht direkt mit der AfD identifizieren wollen.

Feminismus von rechts?

Wem es seltsam vorkommt, dass eine zutiefst reaktionäre und antifeministische Partei, die sich nach einem „traditionellen Familienbild“ sehnt, die massiv gegen andere Lebensmodelle hetzt, der die „Ehe für Alle“ zuwider ist, die schwangeren Frauen* das Recht auf Selbstbestimmung abspricht und die beste Kontakte in das christlich-fundamentalistische Milieu pflegt, auf einmal die Rechte der Frauen* für sich entdeckt, der täuscht sich nicht. Natürlich geht es AfD und „Frauenmarsch“ kein Stück um Frauen*rechte oder Selbstbestimmung. Vielmehr geht es den Organisator*innen darum, unter diesem Deckmantel Rassismus zu transportieren. Geflüchteten und Menschen muslimischen Glaubens wird hierbei eine durch eine vermeintlich „fremde Kultur“ eine grundsätzlich vorhandene sexuelle Übergriffigkeit unterstellt, wegen der „deutsche Frauen“ auf den Straßen nicht mehr sicher seien.
Da ist es nur folgerichtig, dass die Rassist*innen nur dann aufschreien, wenn es Fälle mit nicht-deutschen Täter*innen gibt. Die zahlreichen Gewalttaten mit deutschen Tätern, gerade im Bereich der häuslichen Gewalt, werden ebenso wie gesellschaftlich verankerte strukturelle sexistische Mechanismen nicht thematisiert. Warum auch, mit ihnen haben AfD und „Frauenmarsch“ ja offenbar auch kein Problem.
Das Thema „Frauenrechte“ ist also offensichtlich nur vorgeschoben. So verwundert es auch nicht, dass bei beiden Veranstaltungen ein Überschuss an männlichen Teilnehmern zu verzeichnen war. Die erste Reihe der Demonstration bestand zwar jeweils zum Großteil aus Frauen, immer waren aber Männer in der Nähe, die die entsprechenden Kommandos gaben.


Frauen in der ersten Reihe, aber die Männer geben die Kommandos.
Bild: recherche-nord

Ausblick

Ina Raabe hat als Organisatorin des „Frauenmarschs“ angekündigt, eine kurze Sommerpause einlegen zu wollen. Danach solle es weitergehen. Auch in Oldenburg sind Aktivitäten in diesem Kontext zu verzeichnen gewesen. So tauchten unter anderem in der Nähe der Universität kopierte Flyer auf, die sich thematisch am „Frauenmarsch“ orientieren. Am Samstag, 23.Juni wurde zudem ein weißes Holzkreuz mit einem Grablicht bei dem neu eröffneten Tretbootverleih in der Oldenburger Innenstadt aufgestellt, das mit dem selben Plakat versehen war.


rassistische Propaganda im Oldenburger Stadtbild
Bild: antifa.elf Oldenburg

Es lohnt sich also, die Strukturen des „Frauenmarschs“ bzw. der AfD weiter im Blick zu behalten. Ebenso ist in unseren Augen eine emanzipatorische Kritik am DITIB-Dachverband und dem Erdogan-Regime notwendig, ebenso wie sich eine feministische Auseinandersetzung mit dem AfD-„Frauenmarsch“ lohnt. Beides sprengt jedoch den Rahmen dieses Artikels.

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